Hintergrund

Johannes Goebel: Das Institut für Musik und Akustik (1992)

ZuhörerInnen, Ausführende, ZuschauerInnen; Töne, Instrumente, Klang, Mikrophone, Lautsprecher; Komponisten, Notenblätter, Bildschirme, Dirigenten; unerhörte Musiken, alte Musik mit ungesehenen Bildern, rotierende Klänge um Tänzer; SchauspielerInnen samt Publikum mit dem richtigen Ton in die Unterwelt entführen.

Wissenschaftliches Erforschen der Grundlagen des klingenden Materials und seiner Wahrnehmung, Einkreisen des theoretisch Möglichen und des praktisch Wünschenswerten, künstlerisches Verfügbarmachen technischer Möglichkeiten, Gegenüberstellen von Anspruch und Realisation. Um all diese Aktivitäten durchzuführen, bedarf es recht komplexer Werkzeuge, einer flexiblen Verwaltung und der richtigen Mischung von Disziplin und Freiraum.

Wir hoffen, zukünftigen BesucherInnen und MitarbeiterInnen des im Aufbau befindlichen Zentrums einen derart lebendigen Musikbereich erleben lassen zu können. Man wird Forschung und künstlerisches Arbeiten miteinander kreuzen. Gegenwärtig geht es darum,die inhaltlichen, organisatorischen und räumlichen Grundlagen zu schaffen.

Welche Musik soll denn nun im Institut für Musik und Akustik produziert werden? E-Musik wie »Ernste« – um in den Kategorien der verwalteten Musik zu bleiben – oder U-Musik wie »Unterhaltung« oder gar EU-Musik wie »gute«? Verbunden mit dieser Fragestellung ist die Frage der Zulassung zum Institut. Wer kann hier was tun? Zunächst ein Vergleich: Musikalisches »fast food« wird kaum hergestellt oder serviert werden. Damit ist nicht das Geschmackhafte ausgeschlossen. Im Gegenteil. Es heißt, daß möglichst frische Ingredienzien verwendet werden, keine Konserven, und daß Verdaulichkeit nicht nur eine Frage der Küche, sondern auch der Konstitution der Gäste ist. Kriterien für das, was erklingen wird, liegen also nicht darin, welche musikalische Stilrichtung mit diesem oder jenem Stück identifizierbar ist, sondern wie künstlerische Vorstellung, handwerkliche Realisation und das Zu–Ohren–Bringen zu einer für alle Beteiligten »erfüllten« Zeit führen können (und erfüllt ist jene Zeit, die nicht sich selbst totschlagen will). Musik als reine Zeitkunst – die also in anderem Zusammenhang produziert und rezipiert wird als etwa Bilder – muß hier ästhetisch so weit ermöglicht und gleichzeitig derartig auf einen Punkt hin diskutiert werden: um eine so große Institution wie das Zentrum nicht zu einer reinen Verwalterin werden zu lassen. Experimente werden genauso möglich sein wie exemplarische Aufführungen bereits existierender Musik. Nicht der »Innovationsgrad« oder die ästhetische Schule kann entscheiden, sondern nur die Überlegung, daß der Raum, den das Gebäude, und daß die Zeit,die die dort arbeitenden und aufnehmenden Menschen zu Verfügung stellten, in bewußter Anstrengung erfüllt wird.

Kompositionsenvironment

Die kompositorische Arbeit mit Computern hat in den letzten zehn Jahren eine große Wellenbewegung durchlaufen. In den 60er und 70er Jahren wurde mit Programmen auf Großrechnern gearbeitet, die eine große Vielfalt von Möglichkeiten zuließen, allerdings auch den Komponisten auf harte Geduldsproben stellten - es dauerte alles so lange! Dann, in den achtziger Jahren, wurde die digitale Technologie im Musikbereich auf den Konsummarkt durchgesetzt. Die Musikinstrumentenindustrie einigte sich auf einen Standard, der es erlaubt, daß die Geräte der verschiedenen Hersteller zumindest eine gemeinsame Grundlage für den Informationsaustausch haben (»MIDI«). War also »digital« musikalisch zunächst im »E«-Bereich angesiedelt und dort erforscht und erfunden, nahm nun der »U«-Bereich die Massenproduktion auf. Die Konsequenzen daraus kann jeder heutzutage hören, der das Radio anstellt: Geigen, Schlagzeug, Raumeffekte – alles aus dem Computer.

Auch im »E«-Bereich setzten viele große Hoffnungen auf die Entwicklung neuer Geräte durch die Industrie, denn die Großrechner waren sehr teuer. In einigen Bereichen wie der Live-Elektronik – der Veränderung und Steuerung von gerade im Moment erzeugten Klängen – ergaben sich tatsächlich neue, billigere Möglichkeiten. Doch im Bereich der Synthese komplexer, d.h. dem Ohr angemessenerer Klänge und der kompositorischen Ausnutzung der speziellen Möglichkeiten des Computers setzte nach einiger Zeit in vielen Kreisen ein Gefühl von Enttäuschung ein. Daraus ergab sich der Wunsch, die in den Jahren vor MIDI entwickelten Grundlagen doch weiter auszubauen, sie möglichst maschinenunabhängig zu implementieren.

Das offene System

Hier nun liegt ein wichtiger Schwerpunkt des Instituts für Musik und Akustik. Wir arbeiten gemeinsam mit dem Center for Computer Research in Music and Acoustics (CCRMA) der Stanford Universität daran, ein Environment für Komponisten einzurichten, daß die in den letzten Jahrzehnten gemachten Erfahrungen auf dem Gebiet der Klangsynthese, Klangverarbeitung und computergestützten Komposition maschinenunabhängig integriert. Heinrich Taube (Zentrum für Kunst und Medien) und William Schottstaedt (CCRMA) haben hierfür Common Music und Common Lisp Music entwickelt. Ein Aspekt ist zweifelsohne die Geschwindigkeit, mit der ein Komponist das von ihm Erwünschte klanglich erreichen kann. Doch wird »Echtzeit« keine Grenze bedeuten. Wenn es die Notwendigkeit der Phantasie erfordert, daß ein Ergebnis mehr Rechenzeit erfordert als es anschließend klingend dauert, dann ermöglicht dieses Kompositionsenvironment das auch.

Wenn man bedenkt, wie lange ein Musiker braucht, sein Instrument zu beherrschen, oder ein Komponist, bis ihm das notwendige Handwerk für das Schreiben für ein traditionelles Orchester zur Verfügung steht, leuchtet eigentlich wenig ein, daß es in der Arbeit mit Computern anders sein soll. Mit dem Computer stehen andere, neue Möglichkeiten der musikalischen Arbeit zur Verfügung. Die müssen erforscht, gelernt, erarbeitet werden: was kann mit dem Computer gemacht werden, was sonst nicht geht – welche Handgriffe sind dazu nötig, eine Vorstellung umzusetzen – wie klingt die bereits bestehende Tradition in der elektronischen Musik – viele Fragen müssen praktisch erprobt werden. Der Computer ist in künstlerischer Anwendung ein sehr spezifisches Werkzeug und löst von sich aus keine ästhetischen, künstlerischen Fragen. So wird das im Zentrum geschaffene Kompositionsenvironment darauf ausgelegt werden, als offenes System vom Komponisten »erobert« zu werden, um dann flexibel zur Verfügung zu stehen. (Dafür werden selbstverständlich auch Einführungskurse veranstaltet.)

Das schnelle System

Als Gegenpol zu jenem offenen System wird das Verfügbarmachen von elektronischen Musikgeräten, die industriell hergestellt werden, wichtig sein (dazu gehören u.a. die oben angeführten Geräte, die über MIDI kommunizieren). Diese Geräte sind in den meisten Fällen für begrenzte Möglichkeiten optimal ausgelegt. So können Synthesizer, Sampler, Instrumente für Live-Elektronik, MIDI-steuerbare Mischpulte usw. sowohl bei reinen Musikproduktionen als auch bei musiktheatralischen Inszenierungen und anderen »spartenübergreifenden« Realisationen herangezogen werden.

Entwicklung spezieller Instrumente

Zur Verwirklichung mancher künstlerischer Vorstellungen wird es notwendig sein, noch nicht existierende Instrumente zu entwickeln. Diese Instrumente können etwa neue Kontrollmöglichkeiten für elektronische Klangerzeugung ermöglichen, es können aber auch akustische Instrumente sein, mit denen Spieler bisher »unerhörte« Klänge hervorbringen. In diesen Bereich gehört auch ein Lautsprecherorchester, das für bestimmte Aufführungen neue Klangräume schafft. Hierfür werden entsprechende Werkstätten im ZKM zur Verfügung stehen.

Forschung

Die forschenden und wissenschaftlichen Aktivitäten im Institut für Musik und Akustik erhalten ihre Impulse aus der Spannung, die sich aus künstlerischer Auseinandersetzung und den zur Anwendung kommenden – hauptsächlich elektronischen – Werkzeugen und Instrumenten ergibt. Elektronische Tonerzeugung gibt es seit knapp hundert Jahren. Dem gegenüber steht eine menschheitslange Entwicklung musikalischer Möglichkeiten, die in jeder Kultur ihre eigenen Ausprägungen in Form der speziellen akustischen Instrumente, der Gesangstechniken, der kompositorischen Möglichkeiten und schließlich des Ohrs mit dem daran hängenden Menschen fanden. Indem durch die Reproduzierbarkeit musikalischer Aufführungen – durch Schallplatte, Radio, Tonband und schließlich digitale Medien wie der CD – die eigentliche Tonerzeugung, das Musizieren, von der Situation des Hörens getrennt wurde, erhielt Musik durch ihre ständige klangliche Verfügbarkeit völlig andere Funktionen. Die letzte Konsequenz haben wir damit erreicht, daß auch die Töne nun nicht mehr mechanisch durch Muskelkraft erzeugt werden, sondern indirekt, elektronisch. Und mit dem Einsatz des Computers in der Musik ist das letzte Stadium der Quantifizierbarkeit von Musik erreicht. Dem rein physiologischem Auflösungsvermögen des Sinnesorgans Ohr wird ein quantitativ gleichwertiges »Instrument« gegenüber gestellt.

Daraus ergeben sich eine Unmenge von Möglichkeiten – und Fragen. Und alle fordern zu einer Stellungnahme heraus. Und zur genaueren Untersuchung kann der Computer mit den durch ihn ermöglichten Techniken herangezogen werden. Unter anderen gibt es das Gebiet der Psychoakustik. Es beschäftigt sich mit dem Übergang vom akustischen Ereignis in das »Innenleben« des Menschen: wie sind die akustischen, physiologischen und psychologischen »Größen« bestimmt? Was hören wir wie, was nehmen wir wie wahr, wie ist der Zusammenhang zwischen akustischem Ereignis und bewertender Interpretation (siehe den einleitenden Absatz ganz zu Beginn dieses Textes). Der Computer ist gleichzeitig Mikroskop und Reagenzglas für das, was unser Ohr erreichen kann. Das kann nicht nur für den Akustiker, Psychologen, Musikwissenschaftler oder Kommunikationswissenschaftler von Interesse sein, sondern auch Komponisten bohren hier weiter – wie bekomme ich einen eiskalten oder einen feuchtwarmen Klang, wie kann meine konstruktivistische Vorstellung in einem adäquaten Klang ihr Pendant finden. Und bereits diese Ausdrucksweise spiegelt die Kluft zum digitalen Werkzeug wider. Werden wir mit unseren neuen Werkzeugen einen Übergang zwischen Handwerk, Wissenschaft und Kunst finden können, wie es etwa bei der Entwicklung des Konzertflügels vom Hammerklavier bis zu seinem gegenwärtigen »optimalen« Einsatz erfolgte? Nur brauchen wir in unserem Bereich zur Realisierung eines Instruments nicht nur Tischler, Eisengießer, Maschinenbauer und Klavierbaumeister, sondern auch Elektroniker, Programmierer, Signalverarbeitungsexperten. Sie werden im Institut für Musik und Akustik gemeinsam daran arbeiten, was »das Ohr im Innersten zusammenhält« und welche künstlerischen Qualitäten aus der digitalen, der quantifiziernden Technik erwachsen können.

Die künftige Raumstruktur des Instituts für Musik und Akustik

Die umrissene Arbeit erfordert künftig eine Raumstruktur und -zuordnung, die sowohl das Durchdringen von künstlerischer als auch forschender Arbeit als auch die Kooperation mit dem Institut für Bildmedien optimal ermöglicht. Neben dem Videostudio wird es ein 250 qm großes Tonaufnahmestudio geben, das gleichzeitig für Kammerkonzerte und experimentelle Aufführungen in kleinerem Rahmen zur Verfügung steht. Hier ist auch ein Boden für Tanzveranstaltungen vorgesehen. Diesem Studio ist ein knapp 50 qm großer Regieraum zugeordnet, groß genug, um optimal abzuhören als auch mit kleineren Gruppen z.B. Fortbildungsveranstaltungen durchzuführen. Anschließend befindet sich ein Maschinenraum, sodaß alle geräuscherzeugenden Geräte aus der Regie ausgelagert werden können. Die hier installierten technischen Einrichtungen werden gleichzeitig mit der unten erwähnten kleinen Regie als auch mit der Regie für das Medientheater direkt verbunden sein. Ein Stimmzimmer ergänzt diesen Komplex.

Ein zweiter Bereich – bestehend aus zwei kleineren Aufnahmestudios, einem Abhörraum mit verschiedenen Lautsprecherssystemen (auch als Aufnahmestudio einsetzbar) und einem Raum für wissenschaftlich-experimentelle Aufbauten – gruppiert sich um eine kleine Regie. Auch diese Räume bieten durch Raum-in-Raum Bauweise optimale Schallisolierung und Produktionsmöglichkeiten. Der dritte Komplex besteht aus fünf »Ateliers«. Die Ateliers sollen dem Arbeiten an künstlerischen Projekten dienen. Sie sind nicht als Raum-in-Raum ausgelegt, bieten aber eine höhere Schallisolierung untereinander als etwa die Büroräume. Ferner wird ein reflexionsarmer Raum für wissenschaftliche Messungen und Experimente eingerichtet. Die vierte Zone bilden die Büroräume. Auch sie sind an das digitale und analoge Audionetz angeschlossen, so daß sie über eine reine »Bürofunktion« hinaus genutzt werden können.