zwei Frauen

01.03.2017

Durchs Briefeschreiben gerettet

Der gerade erschienene Briefwechsel zwischen Hettie Jones und Helene Dorn wirft ein Schlaglicht auf die Frauen der Beat Generation, die erst spät aus dem Schatten der männlichen Beatniks hervortraten. Eine Rezension von Stephanie Fezer anlässlich der aktuell im ZKM zu sehenden Ausstellung »Beat Generation«.

VON STEPHANIE FEZER

Schon mal von Hettie Jones gehört? Oder von Joyce Johnson, Carolyne Cassady, Joanne Kyger, Edie Parker, Joanna McClure, Denise Levertov oder Elise Cowen? Nein? Nicht ungewöhnlich; die meisten Menschen, sogar die, die die ersten Zeilen von »Howl« aus dem Kopf rezitieren können, kennen sie nicht. Diese Frauen gehörten zur US-amerikanischen Bohème der 1950er und 60er Jahre, zum Umkreis der Beat Generation. Sie liebten Jazz und Poesie und für ihren selbstständigen Lebensstil brachen sie fast alle mit ihren Familien. Einige von ihnen waren mit dem legendären Black Mountain College assoziiert, einige lernten oder lehrten an der New School in New York oder an der Jack Kerouac School of Disembodied Poetics in Boulder, Colorado. Einige von ihnen schlossen sich später den Hippies an – wie der bekannteste weibliche Beatnik Diane Di Prima, die 1968 von New York nach San Francisco zog und sich dort den radikal-aktivistischen Diggers anschloss.

Generation des Übergangs

Für viele dieser in den 1920ern und 30ern geborenen Bohemiennes kam die gesellschaftliche und moralische Zeitenwende, die letztlich zu mehr Akzeptanz von Anderssein, Dagegensein führte – und zu mehr Möglichkeiten für die jungen Aufsässigen – zu spät. »Wir waren sowas wie eine Übergangsgeneration, eine Brücke zwischen der Vergangenheit und der Zukunft, die in den Sechziger Jahren sehr schnell kam«, sagte Hettie Jones, die mit dem Jazzpoeten LeRoi Jones eine der seltenen sogenannten »gemischtrassigen« Familien bildete, 2014 auf einem Panel in New Jersey.

Blick in die Ausstellung »Beat Generation«: Großformatige Videoprojektionen und Schriftzüge
Blick in die Ausstellung »Beat Generation«
© ZKM | Zentrum für Kunst und Medien, Foto: Jonas Zilius

Aber das Pionierleben war nicht leicht. Man kann das in »Pull my Daisy« von 1959 beobachten, dem wohl bekanntesten Filmkunstwerk der Beatniks, gedreht von Robert Frank und Alfred Leslie, Voice-over von Kerouac, mit Allen Ginsberg und Gregory Corso in den Hauptrollen dieser inszenierten Wohnungsparty. Und einigen anderen Männern. Delphine Seyrig, frisch vom Actors Studio, ist in ihrer überhaupt ersten Filmrolle zu sehen, als anmutiges Dekorum, Ehefrau, Raumpflegerin und Mutter. Zwischen ihren Gastgeberpflichten hat sie durchaus auch mal Spaß – die Bude, im Beatslang »Pad« genannt, die sie zusammen mit ihrem Mann dem Freundeskreis bereitstellt, integriert auch sie in einer unterhaltsamen, intellektuell anregenden Gemeinschaft. Ach ja, wenn der Haushalt nicht wäre.

»Die Männer ziehen durch die Bars, während die Frauen den Haushalt schmeißen«

Die Protagonistinnen der weiblichen Avantgarde der Beatzeit, sofern verheiratet und mit Kindern, was die Norm war, hielten notgedrungen das klassische Familienraster aufrecht. Oft waren sie auch die Alleinverdiener. So dass die Männer durch die Bars ziehen, durch die Weltgeschichte reisen und ihre Karriere voranbringen konnten. »Wir haben uns als frei verstanden, weil wir so viele Risiken auf uns genommen hatten – obwohl wir überhaupt nicht frei waren«, schreibt die bereits erwähnte Hettie Jones in ihren Memoiren. Freigeschrieben haben sich diese Frauen oft erst nach der Trennung von ihren jeweiligen Künstlermännern. Und fast alle haben Memoiren über die Beatzeit verfasst.

Blick auf eine Vitrine, in der Bücher ausliegen
Blick in die Ausstellung »Beat Generation«
© ZKM | Zentrum für Kunst und Medien, Foto: Jonas Zilius

Die männlichen Beatniks trugen ihre Texte in den großen Runden vor, oft als Improvisation wie bei Jack Kerouac, meist zu Jazzmusik. Für eine Frau in dieser Szene war so etwas undenkbar. »Die Frauen«, erinnert sich die Beat-Autorin Joyce Johnson 2014, »diskutierten ihre Sachen nie. Es war schon komisch, das Schreiben war fast etwas Geheimes«. Auch Hettie Jones, die 1934 als Hettie Cohen in Brooklyn geboren wurde, schrieb im Geheimen. Ihr Mann LeRoi galt als das Genius, ein gefeiertes Ausnahmetalent, ihre Gedichte zeigte sie niemandem. Als Autorin wurde sie erst, sagt sie selbst, durch eine Brieffreundschaft gerettet.

»Love, H« – Hettie Jones und Helene Dorn beginnen zu schreiben

1960 lernte sie die Künstlerin und Künstler-Ehefrau Helene Dorn kennen und schloss sie sofort in ihr Herz. Die beiden weit entfernt voneinander lebenden Freundinnen fingen an, Briefe quer über den Kontinent zu schicken; bis zu Dorns Tod 2004. »Diese Briefe retteten mich vor dem Ertrinken«, schreibt Hettie Jones rückblickend in ihren Memoiren. Beim Schreiben der Briefe, Faxe oder Emails, lernte sie – so schreibt sie im Vorwort zu »Love, H«, dem gerade in der Duke University Press erschienen Briefwechsel zwischen ihr und Helene Dorn – zu unterscheiden, was für sie selber so wichtig war, dass es aufgeschrieben werden musste. Sie lernte, herauszufinden, was nur mit ihr zu tun hatte. Das war eine wichtige Lektion, die ihr keiner der Männer, die sie inspirierten, beigebracht hatte:

»Ich schulde es der Lieben Helene […], dass ich schließlich den Stift in die Hand nahm.«

– Hettie Jones

»Love, H«, in dem Hettie Jones immer wieder zwischen den Briefen kommentiert, erklärt, Überleitungen schafft, ist auch ein wertvolles Zeitdokument. Nicht nur, dass man vieles aus der Zeit der Avantgarde ab 1960 erfährt, man kann quasi auch dabei zuschauen, wie diese beiden Frauen finanziell, kreativ und emotional über 44 Jahren lang ihre nicht einfachen Lebensläufe meistern. Was sie über andere Beatniks, Bohemiens und Hippies denken, wie sie sich für Trendsportarten, neue Medien, Drogen, Popkultur und politische Themen interessieren, wie dann der 11. September 2001 sie in ihren Grundfesten erschüttert. Hettie Jones, die in Downtown Manhattan wohnt, erzählt Helene Dorn, wie die Immobilienhaie das Präkariat aus den Lofts und Vorkriegswohnungen kicken. Sie erzählt nebenbei auch von beeindruckendem nachbarschaftlichen Zusammenhalt. Helene Dorn zieht in das neuenglische Künstlerstädtchen Gloucester und hat mit Depressionen und rätselhaften Krankheiten zu kämpfen.

Die Frauen treten aus dem Schatten ihrer Männer

Die eigenen vier Wände bilden die Fixpunkte der beiden selbsternannten »Babes in Boyland«, die sich, nachdem sie von ihren Ehemännern verlassen wurden, „abgelegte Ehefrauen“ nennen. Ihre Bemühungen, als eigenständige Künstlerinnen wahrgenommen zu werden, gelingen mal mehr (Jones), mal weniger (Dorn). Die Selbstzweifel sitzen tief. Hettie Jones, deren Karriere immer mehr in Fahrt kommt, je älter sie wird, stellt 1984 in einem Brief an Helene Dorn eine extreme These auf: »Ich bin die Vergangenheit so müde […], vielleicht bin ich nur eine Blenderin, die an die falschen Leute geraten ist.« Respekt dafür, dass sie sich entschieden hat, all diese klarsichtigen Gedanken mit uns zu teilen.

Hettie Jones: »Love, H. The Letters of Helene Dorn and Hettie Jones«. Duke University Press 2016.

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Über die Autorin

Stephanie Fezer lebt als freie Autorin und Redakteurin in Berlin. Sie studierte deutsche und englische Literaturwissenschaften in Freiburg, Köln und Berlin. 2015 erschien ihre Übersetzung des Romans »Torpor« von Chris Kraus im b_books Verlag.

Im Rahmen der »Beat Generation« Ausstellung am ZKM hielt Stephanie Fezer am 27. April 2017 einen Vortrag zum Thema: »Die Frauen der Beat Bewegung«. Zuletzt griff die Autorin ihre Überlegungen zu den Frauen der Beat Generation im Zeit-Online-Artikel »Namensfreiheit für alle!« noch einmal auf.

Beat Generation

Sa, 26.11.2016 – So, 30.04.2017
ZKM_Lichthof 8+9
Kosten: Museumseintritt

Kategorie: Gesellschaft