Der Klangkosmos von Pierre Henry – zum Tod des Grandseigneur der modernen elektronischen Musik

07.07.2017

Ein Mann sitzt zwischen mehreren Plattenspielern

VON ZKM REDAKTION

Pierre Henry war seit 2003 immer wieder am ZKM zu Gast und brachte hier seine komplexen, elektroakustischen Kompositionen, wie beispielsweise anlässlich seines 80. Geburtstags (2007), zur Aufführung. Pierre Henry ist im Alter von 89 Jahren in Paris gestorben. Das ZKM wird den Lebensfaden von Pierre Henry weiter knüpfen.

Mit seinem Schaffen stand Pierre Henry an einer wichtigen Schaltstelle der zeitgenössischen Musik – zwischen der Entwicklung der modernen »Neuen Musik« und dem weiten Feld des Forschens mit neuen Instrumenten und Klängen. Seine Ausbildung war klassisch: zwischen 1938 und 1944 Studium der Komposition (bei Nadia Boulanger), der Harmonielehre (bei Olivier Messiaen), von Schlagwerk und Piano (bei Félix Passerone) am Pariser Konservatorium (Conservatoire National Supérieur de Musique).

Ein Mann sitzt zwischen mehreren Plattenspielern
Pierre Henry
Foto: Léa Crespi

Zwischen 1944 und 1950 arbeitete Henry als Orchester-Musiker, am Klavier und am Schlagzeug. In diese Zeit fallen auch seine Forschungsarbeiten zu einer experimentellen Lauten-Lehre. 1948 komponierte er seine erste Film-Musik, allein mit akustischen Objekten: Voir l’invisible. 1949 gründete Pierre Henry mit dem Ingenieur und Musik–Theoretiker Pierre Schaeffer eine musikalische Forschungsgruppe: Sie entwickelten bis 1958 die »musique concrète«, eine elektro–akustische Musik, die vor allem mit neuen technischen Instrumenten experimentierte.

1958 verließ Pierre Henry die Groupe de Recherche de Musique Concrète (GRMC) und gründete sein eigenes Studio in Paris, APSOME, das sich als erstes ganz der experimentellen und elektro- akustischen Musik widmete. In den 60er-Jahren entwickelte Pierre Henry seine musikalischen Forschungen weiter, schrieb Stücke nur für Mikrofone (1962 »Le Voyage« – »Tibetanisches Totenbuch«) und ‚flirtet‘ mit der Rock–Musik: 1964 entstand ein viel gesampelter elektronischer Pop–Song (»Psyche Rock«), in den 1970ern das Album ‚Ceremony‘ mit der Gruppe Spooky Tooth.

Gleichzeitig komponierte Pierre Henry Stücke für seinen Freund, den Choreografen Maurice Béjart, für Filme – und auch für Werbung. In diese Jahre fällt seine Zusammenarbeit mit Choreografen wie Georges Balanchine, Carolyn Carlson, Merce Cunningham, Alwin Nikolais und Maguy Marin. Mit den Künstlern Yves Klein, Jean Degottex, Georges Mathieu, Nicolas Schöffer und Thierry Vincens entwickelte er musikalisch-visuelle Performances. Seit 1950 hat Pierre Henry auch zahlreiche Filme vertont – zuletzt ein Werk von Dziga Vertov. 

Ab 1982 hat Pierre Henry mit seinem neuen Studio SON / RÉ ungefähr 45 neue Werke erarbeitet – darunter »Histoire naturelle« (1997), »La Tour de Babel« (1999), »Concerto sans orchestre« (2000), »Poussière de soleils« (2001), »Hypermix« (2001), »Dracula« (2002), »Zones d’ombre« (2002) und »Faits divers« (2003).

2014 hat das ZKM | Karlsruhe den Pionier der neuen Musik – und Schöpfer der Titelmelodie der US-Serie »Futurama« – mit dem Giga-Herz Preis für sein Lebenswerk ausgezeichnet. In diesem Zuge präsentierte er zuletzt das 2012 entstandene Stück »Le Fil de la Vie«:

 

[Auszüge aus dem Text von Manfred Heinfeldner, 2003]

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