Paul Panhuysen: Pattern Primer

01.09.–05.10.2014

»Pattern Primer« (1995/2014) von Paul Panhuysen ist eine Auseinandersetzung mit dem Verhältnis von Berechnung und Zufall, Ordnung und Unordnung in Form einer reaktiven Software. Der Benutzer kann mit ihr eine nahezu unendliche Anzahl von Bildern aus gleichartigen Elementen erzeugen. Das Macromedia-Director-Programm erschien 1995 auf der CD-ROM-Beigabe der englischen Kunstzeitschrift »Artifice«. Es knüpft an malerische Arbeiten des Künstlers an. Bereits in zuvor entstandenen Gemälden, beispielsweise der Serie »Alea Iacta Sit« (1982), sind es elementare, geometrische Formen, die je spezifisch permutiert werden. Panhuysen beschäftigt sich in seinem gesamten Werk immer wieder mit Fragestellungen nach der Komplexität der Wahrnehmung von Ordnungsstrukturen, etwa in der Arbeit »Calcuco – Number Made Visible« (1999), von der es auch eine Internet-Version im proprietären Flash-Format aus dem Jahr 2002 gibt. Doch auch hinsichtlich seiner Klangkunstarbeiten lassen sich durchaus Parallelen ziehen. Dies veranschaulicht sein Konzertmitschnitt »Kanary Grand Band« (12. Mai 1990, archiviert auf »Sound Art @ Het Apollohuis«, ZKM milestones, Wergo WER 2069-2, 2011, CD 2, Stück 1). In einer über eine Stunde dauernden Versuchsanordnung mit fünf Vogelbauern und Kanarienvögeln, die einander hören, aber nicht sehen konnten, schuf Panhuysen einen zirkularen Interaktions- und Klangraum. Er regte die Vögel zu singen an, verarbeitete diese Klänge, speiste sie wieder in den Raum und erzeugte auf diese Weise die Dramatik einer Komposition mit fortwährend rückgekoppelten, minimalen, sich stets zitierenden, aber niemals gleichen Klängen.

Der vollständige Titel der Arbeit auf der CD lautet »Pattern Primer Number One«. Das lässt auf eine Serie schließen. Nach Angaben des Künstlers blieb es jedoch bei dieser einen Version. »Pattern« kann Muster, Struktur, aber auch Modell, Schema, Vorbild oder Schablone heißen. »Primer« ist nicht nur Grundierung in der Malerei, sondern auch Einführung, Lehrbuch für Anfänger oder Voranstrich. Die Vokabeln der Titelei sind mit bedacht gewählt. Fruchtbar und für das Verständnis der Funktion des Werks im Kontext der Biografie des 1934 geborenen Paul Panhuysens ist die semantische Spur auf das Pädagogische, das Vermittelnde. Panhuysen unterrichtete selbst und arbeitete in der Museumspädagogik. Darüber hinaus bot er mit »Het Appolohuis« in Eindhoven von 1980 bis 2001 ein Zuhause für Klangexperimente in jeder nur denkbaren Weise, schrieb Rolf Sachsse in seinem begleitenden Text zu »Sound Art @ Het Apollohuis« (S.12). Mit Blick auf die Struktur und die Funktionen liegt ein propädeutischer Ansatz des Werks daher nahe. Dies stützt auch die Wahl des Mediums. Die CD-ROM galt in den 1990er-Jahren als ein einfach zu handhabendes, niederschwelliges Distributionsmittel. Um weiten Kreisen die Ästhetiken der Permutation näher zu bringen, schien sie für das damalige Verständnis der geeignete Träger gewesen zu sein. Mit dem Re-Engineering für's Internet im Rahmen von ArtOnYourScreen wird dieser Gedanke übrigens weiter gedacht.

Der »Pattern Primer« zeigt nach dem Programmstart vier Auswahlmöglichkeiten auf einer schwarzen Fläche, die über Emoticons angedeutet werden. Allerdings liegen nur zwei unterschiedliche Programmteile dahinter. Über das lachende Emoticon ruft der Rezipient den »fun«-Teil, über den ernsten den »work«-Teil auf. Ein Klick auf den »fun«-Teil führt den Benutzer zu einer quadratischen Fläche, in der fünf mal fünf Quadrate eingelagert sind, die entweder einen breiten schwarzen Streifen auf weißem Grund oder dieses invertiert zeigen. Hiervon gibt es acht Grundformen. Jedes dieser Quadrate lässt sich mit der Maus ergreifen und über die gesamte Fläche verschieben. Bei diesem Vorgang rotieren die Quadrate, bekommen eine Farbe und erzeugen heitere, quietschende Sounds, die an elektronische Fantasiewesen erinnern. Man könnte angesichts dieser geometrischen Flächenaufteilung, die Gedanken der Konkreten Kunst ins multimediale Zeitalter fortführt, erwarten, dass die bewegten Elemente nach dem Verschieben einrasten, um so eine veränderte, aber fixierte Anordnung im Sinne eines je neuen, anderen, aber vergleichbaren Bildes zu formieren. Dies ist nicht der Fall. Der Benutzer ist eigentlich »nur« – aus dieser Erwartungsperspektive betrachtet – dazu in der Lage, Unordnung erzeugen. Die kleinen Binnenquadrate überlappen sich nach dem Belieben gemäß den Aktionen des Benutzers: ein »freies Spiel« eben.

Drei Spielmodi gibt es im »work«-Part. Sie behalten die generelle Struktur bei, sprich sie belassen die 25 Binnenquadrate in ihrem fixen Raster des übergeordneten Quadrats. Links unten ist eine vertikale Zahlenreihe zu sehen. Wie bei einem Laufband wird jede Ziffer von eins bis acht mit einem kleinen, roten Quadrat hervorgehoben. Klickt man darauf, drehen sich alle Quadrate auf dem Spielfeld in eine neue Ordnung. Die Software informiert mit einem Text (Klick auf den i-Button unter dem großen Quadrat), dass es sich bei dem Tableau um ein Magisches Quadrat aus den acht Grundformen handelt. Jeder Klick auf eine der Zahlen solle wieder ein neues Magisches Quadrat ergeben. Außerdem besteht die Möglichkeit, die Farbe des Bildschirmhintergrunds zu ändern. Die Veranschaulichung einer scheinbar unendlichen Anzahl von Möglichkeiten, die jedoch immer der strengen Ordnung eines Magischen Quadrats folgen, wird mit einer begrenzten Anzahl formaler Elemente durchgespielt.

Autor:Matthias Kampann