Roberto Fassone: sibi

Seit 04.01.2016

„Unter einem Algorithmus versteht man eine Entscheidungsprozedur, eine Handlungsanweisung, die aus einer endlichen Menge von Regeln besteht, eine endliche Folge von eindeutig bestimmten Elementaranweisungen, die den Lösungsweg eines spezifischen Problems exakt und vollständig beschreiben.“[1] Peter Weibel


Roberto Fassones Software-Arbeit »sibi« basiert auf Algorithmen und generiert Handlungsanweisungen zur Herstellung von Kunstwerken. »sibi« ist nicht nur ein Zufallsgenerator für Kunstproduktion auf der Basis eines Programms, sondern weist auch starke spielerische Züge auf. In einem Dreischritt erklärt das web-basierte Werk sehr deutlich, was man zu tun hat, um ein Kunstwerk herzustellen. Eingeteilt in die Kategorien Medium [M], Aboutness [A] und Title [T] erhält man durch die minimale Interaktion von drei Tasteneingaben (bei Smartphone und Tablet durch Berühren des Bildschirms) ein Rezept, das die User im Befehlston zur maximalen Partizipation auffordert:

„[M] you have to shoot a photo between 04:00 and 08:00 am in a place with no curves and with flying elements.
[A] your work has to be about literature and about nature.
[T] the title of the work has to be composed by 3 words: each of them has to start with a vowel.“

Oder:

„[M] you have to make a video featuring a 80's two minutes song. the length of the song has to be shorter than the length of the video.
[A] your work has to be about music and about speediness.
[T] the title of the work has to start with the I.“

In diesem aus sechs Regeln bestehendem Spiel grenzen drei Regeln das Werk in Gattung und Form ein. Zwei Parameter reglementieren die inhaltliche Ebene des Werks und eine Regel bezieht sich schließlich auf den Titel. Daraus entstehen in »sibi« theoretisch 50 Milliarden unterschiedliche Kombinationen von Anweisungen.

Das Kunstwerk als spielerische Handlungsanweisung nimmt in der Kunstgeschichte eine prominente Rolle in der Fluxus-Bewegung ein. Das Kunstwerk als theoretisch ausführbare Idee, aber auch als programmatisches Rezept, als Algorithmus, ist ein wesentliches Merkmal der Konzeptkunst. Nimmt man die Handlungsanweisungen in »sibi« Ernst, entfaltet sich im Kontrast zur einfachen Präsentation eine komplexe partizipative Kraft, wenn man sich vor Augen führt, den Instruktionen werde tatsächlich präzise Folge geleistet und Werke entstehen daraus.

»sibi« ist ein auf Algorithmen basierendes Regelwerk, im Kern ein Computerspiel, das sein System aus Regeln aber über seine digitale Natur hinaus in die Situationen realweltlicher Begeben- und Bedingtheiten erweitert. In den Game Studies spricht man von einem Zauberkreis, in den sich die SpielerInnen hineinbegeben, um zu spielen. Der Zauberkreis beruht auf der Annahme und der Voraussetzung, dass ihn die Spieler aufrechterhalten, indem sie das Spiel spielen, sich den Regeln bewusst sind und sie diese befolgen. Sie gehen aktiv ein Spiel ein. In der Kybernetik spricht man von Regelkreisen, die zwischen In- und Output hin- und herschalten und in die sich User hineinbegeben, wenn sie bspw. ein Computerspiel spielen.

In Computerspielen treffen sich der spielerische Zauberkreis und der kybernetische Regelkreis wie in einem Venn-Diagramm und bilden eine Schnittmenge. sibis Zauberkreis wiederum zieht enorme konzentrische Kreise und entfernt die SpielerInnen zeitlich und räumlich vom Bildschirm: "you have to shoot a video between 4am and 8am that features nothing but characters dressed with the same color and that takes place in the city.“ … "you have to shoot a photo between 12am and 4pm in a place with no transparent surfaces and where you cannot see the sun.“ … "you have to shoot a video between 4am and 8am that features nothing but animals and that takes place south.“ … "you have to make a cover song of a 2012 song. The cover has to feature the sound of a metronome and the singer should age between 40 and 50.“ …

Autor: Dr. Stephan Schwingeler
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[1]Weibel, Peter: »Die Algorithmische Revolution. Zur Geschichte der interaktiven Kunst«, URL: http://www01.zkm.de/algorithmische-revolution/ [16.12.2015]