Porträt von Leonardo Mosso in seinem Atelier,

18.12.2020

Leonardo Mosso (1926–2020)

Abschied von dem Architekten und Lichtkünstler Leonardo Mosso

Leonardo Mosso war ein visionärer Architekt der „programmierten“ Architektur und ein international bekannter Lichtkünstler. Vor wenigen Tagen ist Mosso mit 94 Jahren in verstorben.

VON MARGIT ROSEN

Im Jahr 1969 veröffentlichte der italienische Architekt Leonardo Mosso das »Manifest der direkten Architektur« [1]. Darin warb er für eine „programmierte Architektur“, ein Verfahren, das den Prozess des Entwurfs auf radikale Weise demokratisieren und die „Gewalttätigkeit der Machtausübung“ der Architekten beenden sollte.

In einem Prozess der „Autoprogrammation“, der Selbstverwaltung, sollte es für alle Menschen möglich werden, Häuser und Städte nicht nur selbst zu planen, sondern sie den wechselnden Anforderungen entsprechend über die Jahre immer wieder anzupassen. Mosso imaginierte eine Zukunft, in der Computer den BewohnerInnen alle Informationen, die für die Planung und Anpassung einer modularen architektonischen Struktur notwendig sind, zur Verfügung stellen würden. Er zählte damit zu den wichtigsten internationalen Vordenkern einer kybernetischen Architektur, welche die Welt als dynamisches System begriffen und das Potential von Computern für eine Demokratisierung von Architektur und Urbanismus erkannten.

Leonardo Mosso wurde 1926 in Turin als Sohn des Architekten Nicola Mosso geboren. 1951 schloss er sein  Architekturstudium ab, 1955 ging er nach Helsinki, um dort im Büro von Alvar Aalto zu arbeiten. 1965–69 war er Mitunterzeichner aller Projekte, die der finnische Architekt in Italien durchführte. Mosso lehrte ab 1961 als Professor für Architektur am Politecnico in Turin und nahm Lehraufträge an unterschiedlichen Hochschulen wahr, unter anderem an der Universität Karlsruhe. Er kooperierte mit zahlreichen prägenden Persönlichkeiten des 20. Jahrhunderts – mit Le Corbusier ebenso wie mit dem Designer Bruno Munari und dem Philosophen Vilém Flusser.

Seit 1963 arbeitete Mosso gemeinsam mit seiner Frau Laura Castagno-Mosso, mit der er 1970 das Centro Studi di Cibernetica Ambientale e Architettura Programmata gründete sowie das Centro Studi Aaltiani di Torino, das später in Istituto Alvar Aalto umbenannt wurde.

Wir haben Leonardo Mosso nicht nur für seine frühen Beiträge zur „programmierten Architektur“ bewundert, sondern auch für seine filigranen Lichtinstallationen. Er wirkte über die Jahre an einer Reihe von Ausstellungen und Publikationen des ZKM mit, u. a. an »Die algorithmische Revolution« (2004), »Lichtkunst aus Kunstlicht« (2005) und »A Little-Known Story about a Movement, a Magazine and the Computer’s Arrival in Art« (The MIT Press, 2011).

Anlässlich seines 90. Geburtstags entstand auf Initiative des Ordine degli Architetti della Provincia di Biella ein kurzer Dokumentarfilm mit dem Titel »Leonardo Mosso: un secolo in un giorno«. Eine späte Anerkennung seines Werks erfuhr Mosso im Jahr 2017 durch den Erwerb einer Reihe von Modellen und Zeichnungen für die Sammlung des Centre Georges Pompidou, Paris.

Vor wenigen Tagen ist Leonardo Mosso im Alter von 94 Jahren verstorben.

 [1] Leonardo Mosso, „Manifest der direkten Architektur“, in: ders, »Programmierte Architektur«, Studio di informazione estetica und Vanni Scheiwiller, Turin, 1969,  S. 23–25.

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