The Art of Immersion

Titelseite in verschiedenen Blautönen, weiße Schrift.
Publikationstyp
Ausstellungsbroschüre
Verlag, Ort
ZKM⎪Zentrum für Kunst und Medien Karlsruhe
Jahr
2017
Inhalt

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The Art of Immersion

Einleitung

Die frühesten Zeugnisse visueller Darstellungen durch Menschenhand, die Höhlenmalereien, bilden klar erkennbar die Umwelt des Menschen und ihre Bewohner ab. Hinter den Bildern stand also die Idee, Abbilder zu schaffen. Aber wir müssen zwischen dem Bild als Idee und dem technischen Trägermedium eines Bildes unterscheiden. Die Medien der ersten menschengemachten Bilder waren Fels und Wand. Über die Jahrhunderte hinweg wanderte die Idee des Bildes von einem technischen Gastmedium zum nächsten, von der Wand zur Leinwand. Mit diesem Prozess änderten sich auch die technischen Eigenschaften und Charakteristika des Bildes.

War das Fresko panoramisch und lebensgroß, so war das Bild auf der Leinwand nur ein Fenster zur Welt, ein eingefrorenes Fenster gar, ein kleiner Rahmen. Hier sei anzumerken, dass bereits Leon Battista Alberti in seiner Schrift De pictura (1435) den Malern nahegelegt hatte, den Rahmen des Bildes als offenes Fenster zu betrachten. Während der letzten 500 Jahre blieb die Metapher vom Bild als Fenster ein zentrales Konzept: für Malerei und Fotografie über Fernsehgerät und Videomonitor bis hin zum Film und, nicht zuletzt, zum Computerbildschirm, der umso mehr als Fenster wahrgenommen wird, seit „Windows“ zum Markennamen eines bekannten Betriebssystems wurde. Die neuesten digitalen Technologien haben es möglich gemacht, das Konzept des Bildes durch neue technische Trägermedien in viele Richtungen auszuweiten.

Das Kino war das erste visuelle Medium, das Bewegung imitieren konnte. Dies war der wichtigste Durchbruch in der Geschichte des Bildes als Simulation des Lebens, denn lebende Organismen zeichnen sich durch Bewegung aus, während Tote bewegungslos sind. Die Bilder begannen,  sich zu bewegen. Daher wurden Filme auch „motion pictures“ genannt. Da in der Anfangszeit des Kinos das „Leben“ nur in schwarz-weiß dargestellt werden konnte, statt es in bunten Farben zu simulieren, führte der nächste Schritt zum Farbfilm. Es fehlte jedoch immer noch etwas aus dem wirklichen Leben, denn Film bedeutete immer noch Stummfilm. Der nächste Schritt war daher der Tonfilm. Ab den 1930er Jahren hatten wir bewegte Bilder mit Ton und Farbe, wie das Leben. Aber die Filmleinwand war immer noch ein kleines Fenster, und so weitete das Kino seinen Rahmen, seine Leinwand aus, zu solchen Formaten wie CinemaScope, VistaVision, Circle-Vision-360°, dem Kuppelsystem OMNIMAX und so weiter. Als digitale Technologien zum technischen Träger des Bildes wurden, hat sich seine Beschaffenheit radikal verändert, und das Bild konnte besser als je zuvor Realität simulieren. In einer digitalen virtuellen Umgebung kann der Betrachter mit dem Bild wie in einer realen Umgebung interagieren. Er kann im Bildraum partizipieren, mit ihm interagieren und in ihm navigieren, manchmal sogar in allen drei Dimensionen, ganz so wie im realen Raum.

Durch die Panoramaprojektion wurde das Kino zu einer virtuellen Umgebung und ähnelt unserer sensorischen Umgebung mehr als je zuvor. Das Kino wurde in der Tat immersiv. Durch die bewegten Bilder und die Zuschauer, die nun auch ihren Körper bewegen und während der Interaktion mit dem Bild frei im Raum umhergehen können, triumphiert das kinematografische Imaginäre als akustisch und visuell immersives Environment. Aber welche Auswirkungen haben nun heute die Trägermedien unserer hochtechnischen Bilder und welche Metaphern werden benutzt, um sie zu beschreiben? Fasziniert uns immer noch der Blick
durch einen Fensterrahmen oder treten wir durch eine Tür ein multisensorisches virtuelles Environment? Wir sind bei einer hochtechnologischen Simulation von Höhlenmalerei angelangt, d.h. der Abbildungen unserer Umwelt und ihrer Bewohner, aber wir sind nun zum ersten Mal selbst die Ureinwohner unserer eigenen Bilder. Die sinnliche Erfahrung der Kunst der Immersion ist der eigentliche Höhepunkt des kinematografischen Bildes, denn sie verkörpert die Kunst des Handelns in einer fast perfekt simulierten Umgebung. Die Kunst der Immersion beschreibt den Übergang vom visuellen Fenster in all seinen historischen Erscheinungsformen hin zu einer virtuellen Umwelt.

Peter Weibel

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Sprache
Deutsch
Beschreibung
56 S., Ill., Broschüre
Organisation / Institution
ZKM⎪Zentrum für Kunst und Medien Karlsruhe
Kooperationspartner

EnBW

Sponsoren

Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst ; Stadt Karlsruhe

Team

Redaktion: Sabiha Keyif, Bettina Korintenberg

Lektorat: Gloria Custance, Anna Straetmans (E), Sabiha Keyif, Bettina Korintenberg, Claudia Voigtländer (D)

Übersetzungen: D - E: Jane Yager \ Übersetzungen: E - D: Petra Kaiser

Grafik: 2xGoldstein+Fronczek