Paul Thek (Eröffnung)
Werkschau im Kontext zeitgenössischer Kunst
Fr, 14.12.2007 , Eröffnung

Paul Thek (1933–1988) gilt als Künstler mit Kultstatus. Die bislang umfassendste Werkschau des Künstlers befasst sich mit der phänomenalen Wirkung seines Werks in der Gegenwartskunst und bestimmt Theks geschichtliche Bedeutung: vom legendären Außenseiter zum Mittelpunkt und Begründer einer Kunstströmung. Es ist gelungen, über dreihundert Werke Paul Theks zusammenzutragen, die sich zum Großteil in Privatbesitz befinden und daher in der Öffentlichkeit bisher nur selten gezeigt wurden.
 
In seiner anti-heroischen Vielstimmigkeit und Multimedialität und mit seinen Referenzen auf Kunst, Literatur, Theater und Religion gehört das Werk (Malerei, Zeichnung, Fotografie, Video, Skulptur und raumgreifende Environments) von Paul Thek zu den zentralen Quellen des Auf- und Ausbruchs der Kunst der 1960er Jahre. Nicht zuletzt deswegen ist ihm eines der frühen theoretischen Meisterwerke dieser Epoche, »Against Interpretation« (1962, dt.: »Kunst und Antikunst«, 1966) von Susan Sontag, gewidmet. Die Abgüsse auch eigener Körperteile, Wachs-Repliken von menschlichem Gewebe, Haaren, Zähnen und Knochen in Plexiglaskästen, die er zwischen 1964-67 unter dem Titel »Technological Reliquaries« herstellte, haben in ihrer Mischung aus Begehren und Abstoßung, aus Verfall und Pathos, der Welt der Ware und der Verklärung des Alltäglichen wie der Idealisierung und der Theatralisierung der korporativen Minimal Art die Wahrheit des Körpers entgegengehalten. Er hat damit nicht nur Zeitgenossen wie Vito Acconci und Bruce Nauman, sondern auch Künstler der Gegenwart wie Mike Kelley und Paul McCarthy, Kai Althoff und Jonathan Meese, Cosima von Bonin und Zeger Reijers, Robert Gober, Damien Hirst und Matthew Barney beeinflusst. Seine obsessiven, oft mystischen Inhalte, die ihn zu einem Begründer der Abject Art und Environments, bzw. Ensembles machten, wurden auf eine formale Weise vorgetragen, die den Weg öffnete für die Mischung aus Ateliersituation und totaler Raumgestaltung, aus privaten und allgemeinen Ikonen, aus profanen und religiösen Gegenständen, aus Alltag und Mythos, von beschädigten Objekten zur fragmentarischen Anhäufung gefundener Materialien, wie sie KünstlerInnen von Anna Oppermann bis Thomas Hirschhorn vorangetrieben haben.
 
Paul Thek ist der Inbegriff eines »Künstler-Künstlers«, dessen Einfluss bis in die jüngste Künstlergeneration reicht. Unsere Auswahl konzentriert sich - mit Ausnahmen und ohne Anspruch auf Vollständigkeit - auf die Werke jüngerer KünstlerInnen, die in einem engen Bezug zu Theks vielfältigem Schaffen stehen. Ausgehend von seinen Ansätzen zeigen sich deren Arbeiten als selbstständige Positionen im gegenwärtigen Kunstbetrieb. Vor diesem Hintergrund wird das Werk Paul Theks aus einer aktualisierten Perspektive in den Blick genommen. Damit dienen die präsentierten Arbeiten Theks zugleich als Ausgangspunkt zur Erkundung der Arbeiten der anderen in der Ausstellung vertretenen KünstlerInnen.
 
Als Amerikaner im Exil in Europa, wie schon die Lost Generation und die Beat Generation, fand Paul Thek nach Ausstellungen in der New Yorker Stable Gallery 1964 und 1967, rasch die Anerkennung in Europa (documenta 4, 1968; documenta 5, 1972; Biennale di Venezia, 1976; »Westkunst«, Köln 1981). Zu seinen bekanntesten Werken gehören »The Procession« (Stedelijk Museum Amsterdam, 1969), »Pyramid/A Work in Progress« (Moderna Museet, Stockholm, 1971) und »The Tomb-Death of a Hippie« (Whitney Museum of American Art, New York, 1967). Inspiriert vom Baustil ägyptischer Pyramiden und europäischer Kathedralen versuchte er Umwelten zu schaffen, die einerseits auf Blut und Eingeweide, Fleisch und Knochen verwiesen, wie die »unio mystica« beispielsweise von Hermann Nitsch, sich also auf die Aura christlicher Reliquien beriefen. Andererseits sah er mit großer Schärfe die Zerstückelung des Körpers in Körperorgane, d.h. in Körper ohne Organe und Organe ohne Körper, im Zeitalter der medialen und gentechnischen Reproduktion voraus, wie sie in der Philosophie von Gilles Deleuze später formuliert werden sollte. Kunst und Leben verschmolzen in Theks Werk, das er als ein »work in progress« aus ephemeren Objekten, unstabilen Materialien und zeitlich begrenzten Installationen verstand und in dem das Band zwischen natürlicher, organischer und künstlicher, technischer Welt neu geknüpft wurde.
 
Die Ausstellung wird auch in den Phoenix-Hallen der Sammlung Falckenberg in Hamburg (31.05–14.09.2008) gezeigt.

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