Nils Röller: Towards Cuzco 06

Ein E-Mail-Wechsel zwischen Kalk und Cuzco

Blick auf eine Hauswand und eine Mauer: Darauf das Gemälde eines grünen Blatts und des Wortes "Coca"
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L. S.,

Wölfe und Schafe, schreib mir mehr darüber! Du schreibst, dass sich Wölfe und Schafe so verhalten wie Kaffee und Milch? Das kann ich kaum glauben, lass das erst einmal sacken, vielleicht schreibst Du mir später mehr darüber. Nun, wenn ich Deine mail noch einmal ansehe, merke ich, dass du so ein Wort benutzt wie oszillierende Systeme, das merke ich mir, auch wenn ich mir noch nicht bewusst machen kann, was Du damit meinst. Ich habe das Gefühl, dass sich in mir nichts mischt. Ich oszilliere zwar zwischen Wohnung, Geschäft und Internetcafe, sehe Schönes, höre Hässliches. Schön zum Beispiel: links unten im Haus hat ein Afrika-Shop eröffnet. Da arbeiten Frauen in herrliche Stoffe gekleidet... Hässlich hingegen ist das Geschrei der Junkies. Schön und hässlich, warum finde ich das eine schön und das andere hässlich? Aber darüber wollte ich nicht schreiben, sondern festhalten, dass sich die Eindrücke, die ich von meiner Umgebung erhalte, nicht in meinem Bewusstsein mischen. Mit was sollen sie sich auch mischen und worin? Ist mein Kopf die Tasse, das Gehirn der Kaffee und der Eindruck die Milch? Es mischt sich nichts, sondern brennt sich ein, brennt sich in irgendein Trägermaterial in meinem Kopf ein. Zum Beispiel die fiesen hohen Absätze, die Reifenabsätze, die die Mädchen jetzt tragen, oder auch das Lächeln einer Blondine mit schwachsinnigen Spielbergbaseballkäppi auf dem glatten Glanz, wie die in der S-Bahn sitzt und zu strahlen beginnt, als ein Typ reinkommt, der ihr Freund zu sein oder zu werden scheint, das brennt sich in mir ein, genauso wie die Ausschnitte immer, die ich sehe, die Rüschen und Bänder, mit denen junge Türkinnen sich vestalisch geben und andere italienisch napolitanisch ihre Formen preisen. Diese Stücke erkalten dann, rosten, kanten und ecken überall an in meinem Inneren. Sie stossen an die Ränder in meinem Kopf, krachen aufeinander, ja krachende Roststücke sind das, Splitter, Scherben, ich weiss aber nicht, halt, das muss ich prüfen, ob die Krach machen, ist das Sound in meinem Kopf oder was sonst? Brennen Bilder auch so? Vielleicht stimmt das gar nicht. Die Eindrücke sind Wölfe. Sie fallen die Schafe auf meiner Gedankenweide an... Das ist jetzt dumm und schnell geschrieben. Ich werde vorsichtiger schreiben, vor allem werde ich darüber nachdenken, ob das Einbrennen und Härten der Eindrücke mit dem Schreiben zu tun hat, denn ich glaube, dass ich anders darüber gedacht habe, bevor ich begonnen habe, Dir zu schreiben. Angefangen hat das mit deiner letzten Mail. Ich muss auf dem Rückweg sortieren, jetzt zu den Neuigkeiten des Tages. Überall war in den letzten Wochen von Überschwemmungen die Rede, jetzt ebbt das ab und wird schnell wieder vergessen. Die taz deutete die Unwetter am Schwarzen Meer, die Regenfälle in Österreich und Bayern als Hinweise auf den Klimawandel. Der Focus widmete dem verarmenden Mittelstand die Titelgeschichte ... Da sehe ich in einem Zusammenhang. Unsere Ökonomie wird sich ändern. Ich zweifel aber daran, dass wir Mikroleute dann eine Chance haben, wir haben zwar den Vorteil, dass wir schon seit langem wissen, was es heisst, in engen Verhältnisse zu leben, aber was nützt das? ... Weltbürgerlich, so würde ich gerne denken, trotz der Enge. Mir machen die Unwetter noch nicht zu schaffen. Der Rhein ist auch noch nicht über die Ufer getreten... Der Sommer ist schöner als ich zu hoffen wagte, zwar lassen sich die beiden Schönen nicht mehr bei mir sehen, aber ich habe jetzt eine Perspektive für die nächste Woche und dann einen Rückblick auf einen schönen Abend. Vorgestern war der Zeichenfischer da und sagte, dass er mich in den nächsten Tagen zum Essen einladen möchte. Er muss dringend mit mir reden und gibt mir noch rechtzeitig Bescheid und dann hatte ich gestern Abend Glück, so ein Glück, dass mir die Domstadt wieder richtig sympathisch geworden ist. Auf dem Gepäckträger einer schönen schwarzhaarigen Frau bin ich vom Neumarkt bis an die Deutzer Brücke gefahren. Wir beide sassen bis zum Schluss im Internetcafe und meine Strassenbahn war schon weg und da hat sie gesagt, dass sie mich ein Stück auf ihrem Fahrrad mitnimmt. Sie wohnt in der Südstadt, hat aber für mich einen Schlenker bis an den Heumarkt gemacht. Auf dem Weg dorthin fragte sie mich, ob ich schon in St. Peter gewesen bin? Und wir sind dann kurz in einen Kirchhof gefahren. Sie dachte, dass auch nachts noch eine Ausstellung zu sehen sei. Das zwar nicht, dafür hat mir das alte Gemäuer gut gefallen, habe an das Mittelalter gedacht, als es hier in Köln warm gewesen sein soll ... und dann duftete sie phantastisch.

Das hat mich bei meinem anschliessenden Fussweg nach Kalk begleitet und war noch bis zum Morgengrauen in meinen Sinnen... Stelle mir ausserdem vor, dass ich immer so leben muss, zu wenig Geld, um zu reisen, dafür ausreichend Zeit, um meine nähere Umgebung kennenzulernen. Vielleicht ist es dann wie im Mittelalter. Der Bürger und der Bettler verlassen die Stadt nicht, ihr Lebensraum ist begrenzt. Doch Bürger und Bettler hören von den Reisenden und den Händlern, dass da noch eine grosse weite Welt ist... Wie werden die gescheiterten Dotcommies damit umgehen, dass sie nicht mehr zwischen Cannes, Erfurt und Berlin jetten, sondern in der Berliner Auguststrasse bleiben müssen, dort können sie den steigenden Mietpreisen nicht entrinnen. Den geschickteren Jungmanagern wird das nicht passieren, was geschieht aber mit den Ungeschickteren? Für sie könnte man eine raumzeitliche Überlebensfibel schreiben, in der sie nachschlagen können, wenn ihnen die engen Verhältnisse auf das Gemüt schlagen. Ich werde mit dem Zeichenfischer darüber sprechen... Ich mache jetzt Schluss für heute. Tschüss dann und alles Gute weiterhin in den Anden.

Dein K.

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