EINGESPERRT – Stimmen aus dem Kopfgefängnis
Der Kopf und die Halspartie einer Frau sind kopfüber zu sehen, sie hat lange Haare und eine ausdruckslose Mine. Der Hintergrund ähnelt computergenerierten Kacheln, die sich auch über ihr Gesicht ziehen.
Konzert mit Kompositionen von Yu-Hui Chang, Ye Shen und Clemens Gadenstätter
So, 25.10.2020 20:00 Uhr CET
Kubus
Ausgebucht

Der Art Brut-Künstler Julius Klingebiel war bis zu seinem Tod Opfer sozialpolitischer Ausgrenzung aufgrund seiner Erkrankung an paranoider Schizophrenie. Ihm und der Komplexität der Thematik widmen sich eigens dafür in Auftrag gegebene Werke von Clemens Gadenstätter, Yu-Hui Chang und Ye Shen. 

Das Projekt »EINGESPERRT« widmet sich zum einen Teil dem Schicksal eines gesellschaftlichen Außenseiters: Der deutsche Künstler Julius Klingebiel (1904–1965) war ein »Anderer«, ein als krank Ausgegrenzter. Er litt an paranoider Schizophrenie und wurde deshalb ab 1939 in mehrere Nervenkliniken eingewiesen, später war er Patient im Landeskrankenhaus Göttingen. Klingebiel galt als unheilbar, wurde nach dem NS-Erbgesundheitsgesetz zwangssterilisiert, überlebte aber sogar die NS–Tötungsaktionen. Ab 1951 bemalte er alle Wände seiner Zelle im Verwahrungshaus Göttingen. Die »Klingebiel–Zelle« gilt heute als solitäres Werk der Art Brut. Weitere Informationen zu Julius Klingebiel finden Sie hier.

Zwei asiatische Kompositionen der Gegenwart, deren Ausgangspunkte schon geographisch nicht weiter auseinander liegen könnten, verbinden sich im Programm »EINGESPERRT« (nicht zuletzt dank der gegenseitigen Kontextualisierung mit Clemens Gadenstätters Klingebiel–Werk) zu einem ebenso vielschichtigen wie sinnlichen musikphilosophischen Diskurs über die persönliche Freiheit.

Dass diese Freiheit – wie im Falle der Uraufführung eines Auftragswerks von Ye Shen (*1977) aus Shanghai, vertonten chinesischen Dichters Hai-zi (1964–1989) zwar zu reichem Kunstschaffen, aber auch in den Suizid geführt hat, bezeichnet die psychologische Komplexität dieser Thematik. Den nach außen gewendeten und von außen instrumentalisierten Blick thematisiert die taiwanesisch–amerikanische Komponistin Yu-hui Chang (*1970) in ihrer Auftragskomposition für Stimmen und Instrumente, über die Rolle der Künstlichen Intelligenz und Facial Recognition (Gesichtserkennung) sowie ihrer Wirkung auf das Individuum: das eigene Gesicht als Maske und als Gefängnis.

Stücke:
  • Clemens Gadenstätter: »die zelle«, 2020
  • Yu-Hui Chang: »Saving Faces« 2020, zweite Aufführung
  • Ye Shen: »空间/距离 Raum/Distanz« 2020, zweite Aufführung

Die SCHOLA HEIDELBERG und das ensemble aisthesis werden unter der Leitung von Walter Nußbaum und der Klangregie von Sebastian Schottke die Stücke für Instrumental- und Vokalbegleitung sowie Live-Elektronik in Heidelberg, Karlsruhe, Göttingen, Hannover und Oldenburg uraufführen.

Dieses Projekt wird u.a gefördert durch die Karin Brass Stiftung sowie den Förderverein der Sozialpsychiatrie Moringen e.V.

Organisation / Institution
KlangForum Heidelberg e. V.

Impulsgeber und Sponsor

Dieses Projekt wird gefördert durch

Der Kompositionsauftrag »die zelle« an Clemens Gadenstätter wird finanziert von

Kooperationspartner