Mind the Gap. Theaterräume/Medienräume
Recherchen für eine andere Szenografie
Fr, 19.11.2004 – Sa, 20.11.2004, Symposium
Was ist »Raum«? Wie auch der Begriff der »Zeit« sind Idee und Wahrnehmung von Raum in hohem Maß kulturell kodiert, d. h. mit unterschiedlichen Bedeutungen belehnt. Kaum ein Medium spiegelt dies in so vielfältigen Facetten wider wie das Theater: religiöse, philosophische, architektur- und technikgeschichtliche Einwirkungen prägen seit der Antike Spielorte und Spielarten. Was wir allgemein unter Bühne verstehen – der Guckkasten, der mit dem Theater der Aufklärung und seinen Theaterbauten entstand – ist somit lediglich eine Variante unter anderen. Schon Theaterreformer der historischen Avantgarde, wie Adolphe Appia, richteten ihre Experimente gegen die bürgerliche Illusionsbühne; es dauerte jedoch bis in die 1960er-Jahre hinein, ehe sich eine „performative Wende“ [Erika Fischer-Lichte] abzeichnete: unter dem Postulat einer »Entgrenzung der Künste« begannen Künstler, neue Spielräume außerhalb der Theater zu erschließen [Environmental Theatre, Site-Specific-Performance u. a. m.]. Auch die Geschlossenheit des Guckkastens wurde, v. a. durch Neu-Interpretation des »Epischen Theaters« Bert Brechts aufgebrochen. In der Folge entstand ein »buntscheckiges« Feld von Inszenierungsweisen: Sie machen überkommene Raumvorstellungen und [potentiell ideologische] Denk-Gebäude kenntlich und manipulieren spielerisch die Wahrnehmungen des Publikums – oft im Einsatz anderer Medien. Hans-Thies Lehmann hat solche szenografischen Entwürfe am Ende der 1990er-Jahre unter dem Stichwort »postdramatische Raum-Ästhetiken« beschrieben. Heute, einige Jahre später – und hier setzen die Fragen unseres Symposiums an – ist das Feld komplex geblieben, doch die spielerische Geste hat sich verändert: In einzelnen Ansätzen ist sie zurückgenommen, in anderen radikalisiert, möglicherweise politisiert. Insgesamt beobachtet werden können derzeit Projekte sehr unterschiedlicher Künstler, die – in zum Teil beinahe vollständiger Entkoppelung des theatralen Zeichengefüges – »Raum« zum wichtigsten Faktor erheben und spielbestimmend werden lassen – sei es auf der Bühne oder im öffentlichen Raum. Die formale und auch die inhaltliche Auseinandersetzung mit politischen, sozialen oder emotionalen Räumen rückt somit ins Zentrum ihrer Arbeit. Möglicherweise, so der Vorschlag Peter Sloterdijks in seinem aktuellen Buch »Sphären III«, bezeichnet der Begriff des »Raumes« heute, nach dem Ende der Metaphysik und der »Monosphären«, nicht eines, sondern vielfältige, ineinander verschachtelte Phänomene [»Schäume«], denen jedoch nicht mit postmoderner Melancholie, sondern mit »Aufheiterungsarbeit« zu begegnen sei, oder anders gewendet: mit dem präzisen Erkunden pluraler [Raum-]Phänomene.

»Mind the Gap« unternimmt Recherchen im Feld gegenwärtiger Szenografie: Im ZKM Medientheater werden namhafte Wissenschaftler sowie Künstler des deutschsprachigen Theaters ihre Positionen und Arbeiten vorstellen; die Vorträge, Panels sowie theaterwissenschaftlichen »Inserts« [»Aufgeführte Räume«] der Berliner Forschungsgruppe »Kulturen des Performativen« bieten Bausteine zu einer Systematisierung.
Weiteres Element der Veranstaltung ist der mobile »KIOSK für nützliches Wissen« von Tulip House [Anselm Franke / Hannah Hurtzig für Ersatzstadt] im Lichthof der HfG [Architektur und Gestaltung des KIOSK: Stephen Craig]. Ersatzstadt ist ein Initiativprojekt der Kulturstiftung des Bundes in Kooperation mit der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz.

»Mind the Gap« ist eine Veranstaltung von ZKM und HfG Karlsruhe / Fb Szenografie, in Zusammenarbeit mit dem Sonderforschungsbereich »Kulturen des Performativen« (FU Berlin) und der HfBK-Hochschule für Bildende Künste Dresden, Fb II: Bühnen- und Kostümbild / Theaterwissenschaft.

Konzept/Organisation:
Birgit Wiens, Hochschule für Bildende Künste Dresden
Gesa Mueller von der Haegen, HfG Karlsruhe
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MIND THE GAP–  Programm


Freitag, 19. Nov.

10:00 Uhr
MIND THE GAP – Begrüßung durch die Veranstalter
 

TEIL I: Historizität von Räumen: Entgrenzung/Eingrenzung des Begriffs

10:30 Uhr
Eröffnungsvortrag: Richard Beacham: »Bearers of the Flame? The THEATRON Project, Cultural Memory, and Contemporary Experimental Scenography and Performance Considered In the Light of Appia«

11:30 Uhr
Helmar Schramm: »AUFMERKSAMKEIT. Historische Phänomenologie des theatralen Raums«

12:30 Uhr
Stefan Kaegi: »DESPLAZADOS. Bilder von Audiotouren, Schnitzeljagden, Ameisenstaaten, Towersimulationen und anderen Bühnenbildern«

13:30 Uhr
Pause
 

TEIL II: Materialität von Räumen/Intermedialität zwischen Theater, Film und ‘Cyberspace’

14:30 Uhr
Franz Wille: »Zur Ästhetik des Performativen im Theater – die süßeste Tautologie, seit es Schokolade gibt«

15:00 Uhr
AUFGEFÜHRTE RÄUME
Jens Roselt: »Die Fünfte Wand – Medialität im Theater«
Barbara Gronau: »Das Schauspiel der Dinge – Rauminstallationen als theatrale Settings«

Christa Brüstle: »Spatial Music – klingende Räume«
Marc Glöde: »Räumlichkeiten im Medium Film«

17:00 Uhr
Nico Huempel / Nico and the Navigators: »BILDERTHEATER – MENSCHENBILDER«

18:00 Uhr
Panel

20:00 Uhr
Performance / Präsentation im KIOSK für nützliches Wissen.
Ein Projekt von Tulip House (Anselm Franke/ Hannah Hurtzig für ErsatzStadt)
 

Samstag, 20. Nov.

Teil III ‘Postepische Räume‘: Gefühle, Atmosphären, Bewegung

10:30 Uhr
Nicolas Stemann: »Was sind neue Medien im Theater? / paradoxe Räume für ein widersprüchliches Leben / macht es Sinn, von einem postepischen Theater zu sprechen?«

11:30 Uhr
Michael Thalheimer: »Gänge, Labyrinthe, Sackgassen: Das skelettierte Drama, oder Über Sprache im Raum – Ein Gespräch«

13:00 Uhr
Pause


TEIL IV Zwischen Theater und öffentlichem Raum: Recherchen zum ‘zeitgenössischen Realismus’

14:00 Uhr
Hannah Hurtzig/ Anselm Franke (Tulip House): »FORMATE DER ÖFFENTLICHKEIT«

15:00 Uhr
Andrea Moses/ Holger Kuhla: »Kap der UNruhe« – ein Theaterprojekt im öffentlichen Raum (Rahmen von SUPERUMBAU/ Hoyerswerda)

16:00 Uhr
Markus Kissling/Spacewalk: »Die SPACEWALK Methode«

17:00 Uhr
Schlussdiskussion/ Panel
Impressum
Organisation / Institution
ZKM ; HfG | Staatliche Hochschule für Gestaltung Karlsruhe
Kooperationspartner
FU Berlin ; HfBK-Hochschule für Bildende Künste Dresden